Ranschmeißerische Diskurs-Simulation für den Hipster mit Durchblick – Diedrich Diederichsens “Eigenblutdoping”

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Diedrich Diederichsen ist einer meiner Helden aus den Achtzigern.

Damals war ich ein art geek.

Elvis-Costello-Brille und der bedingungslose Wille zur Kunst (http://blog.artdoxa.com/?p=44).

Das SPEX-Magazin war damals so etwas wie der Kleine Katechismus der Hipness.

Und Diedrich Diederichsen ihr Hohepriester.

Vor kurzem habe ich mir DDs Eigenblutdoping reingezogen.

Tja… well… das SPEX-Magazin nennt Eigenblutdoping eine ebenso “geistreiche wie verschwurbelte Analyse des Kunstbooms unserer Tage”.

Geistreich? Oh, gewiß. Verschwurbelt? Oft.

Es geht darin um die Dinge, die DD heute für wichtig und exemplarisch hält – Selbstverwertung, Künstlerromantik, Partizipation. Das ehemalige “Wunderkind des deutschen Popjournalismus” und einstige chief honcho der SPEX-Redaktion ist inzwischen Dozent für Medienpipapo an einer Ösi-Uni. Von Wissenschaftlichkeit kann, wie ich finde, bei der vorliegenden Arbeit nicht die Rede sein. Aber es ist, zugegeben, keine wissenschaftliche Arbeit, sondern eine Sammlung von Vorträgen, die DD im Jahre 2006 im Hamburger Kunstverein gehalten hat. Und seine zentrale These ist interessant und durchaus erschütternd. Sie lässt sich in ein, zwei Sätzen wiedergeben. Lassen wir DD selbst zu Wort kommen. In einem SPEX-Interview* – Der Druck, andauernd etwas dürfen zu müssen – lässt er uns wissen:

“Das große Problem ist, dass man in dem Maße, in dem man sich seit den Sechzigern heraus gearbeitet hat aus dem disziplinierenden Daran-gehindert-werden-etwas-zu-Tun, und dabei tausende von Möglichkeiten entwickelt hat, wie man es tun kann, immer tiefer in diese andere Verwertungslogik hinein geraten ist, in der man begeistert seine eigene nicht-kontrollierte Lebendigkeit verwertet.

(…)

… diese moderne Depression, von der die Psychologie spricht, die nicht eine Verdrängungsdepression, sondern eine Überforderungsdepression darstellt. Uns ist nicht etwas verboten, sondern uns wird ständig etwas erlaubt. Wir stehen nicht unter dem Druck, irgendetwas nicht zu dürfen, sondern wir stehen unter dem Druck, dauernd etwas dürfen zu müssen, Kraft aus der Begeisterung zu ziehen. Das ist nicht nur ein Zwang und eine Überforderung: Die Begeisterung wird überall, wo sie produziert wird, derselben Klientel gleich wieder verkauft.”

Der Druck…

And that about sums it up.

Geile Bringung! Aber hallo! Ohne Einschränkung.

Dieser Gedanke wird jetzt allerdings sehr nachhaltig ausgeführt. Well… getretener Quark wird breit, nicht stark. Besonders irreführend: Auf dem Backcover gibt es eine Liste von Reizworten und griffigen Tags, anhand derer DD seine Thesen zu veranschaulichen sucht. Dies aber bleibt bloßes Versprechen. Es gelingt DD nicht wirklich, die funkelnden Tags mit Leben zu erfüllen, ihnen Bedeutung zu geben, Relevanz – was die Lektüre z.B. von Jon Savage zu solch einem enormen Genuß macht. Das hat mich etwas enttäuscht, denn ich will unterhalten werden, wenn ich mir schon eine bestimmte Sorte von Diskurs-Prosa zumute (Neil Postman lässt grüßen!). Nein – ich will gut unterhalten werden.

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Ich wünschte auch, DD hätte der Versuchung widerstanden, sich an das post-strukturalistische Diskursgerümpel ranzuschmeißen, das die Humanwissenschaft seit den Achtzigern beherrscht. DDs elitäre Sprache schmeckt schal nach Erkenntnisdefizit. Kamper lässt grüssen, der “rasende Fasler” (E. Henscheid). Vilèm Flusser auch, der gerissene Gaukler. Beiden steht DD in puncto Unklarheit und Schwammigkeit nicht nach. Nicht durchgängig, aber zu oft für meinen Geschmack. Es ist, als greife man in zwanzig Jahre alte Spinnweben. Ich werde hier einfach ein paar “verschwurbelte” Highlights in denunzierender Absicht aus dem Zusammenhang reißen.

Hier ein, wie es auf gut postmodern heißt, “paradigmatisches” Textbeispiel:

“Die unausgesprochene Regel der Pop-Performance ist – auch auf der Ebene ihrer eigenen quasi-theoretischen Selbstreflexion – die ewige Aufschiebung der Entscheidung, ihre Aufgabe aber ist es, sie brisant zu halten. Damit wiederholt sich auf der Ebene von Dylans filmischer Pop-Theorie, was auf der Ebene naiver Starverehrung passiert, nicht nur die Unentscheidbarkeit und die Aufschiebung der Frage, spricht da die Person oder spricht die Rolle, sondern eben auch auf der Ebene, spricht da der eine Funktion einnehmende, inhaltlich indifferente Priester-Gott, der sein Material seiner Funktion unterordnet, oder spricht da ein Künstler, der sein eminent wichtiges, individuelles Lebensmaterial sich entschlossen hat, von der Position eines Schamanen-Priesters aufzubereiten .”

Das ist gewißlich hübsch “verschwurbelt”. Unanschaulich. Blutleer. Undidaktisch. Wer möchte, darf sich gern in Angststarre versetzen lassen von seiner konfusen Imponiersprache. Im Vortrag mag es erträglich sein. Vielleicht hat DD ja eine fesselnde und geschmeidige Präsentäischn draus gemacht. Und vielleicht ist DDs Vortrag so unterhaltsam wie seine geilen, fetten, polemischen Plattenkritiken in den Achtzigern. Aber auf der Grundlage solcher verkopften, unsinnlichen Texte? DD tut sich immer wieder sehr schwer damit, seine Gedanken in eine klare, verständliche Sprache zu übersetzen. Klarer Gedanke – klare Sprache. Siehe Schopenhauer, Nietzsche, Ludwig Reiners… Was das im Umkehrschluß bedeutet, liegt natürlich auf der Hand.

Der Mangel an Klarheit, der unerträgliche Diskurs-Jargon, tut DDs Sache keinen Gefallen. Und die ist angeblich irgendwie immer noch links und irgendwie kritisch. Ich frage mich – echt jetzt? Beziehungsweise – wo steht DD eigentlich? Irgendwo zwischen lauwarm links und nicht doch irgendwie neoliberal und affirmativ? DDs Diskurs-Simulation erscheint mir über weite Strecken wie pures Blendwerk:

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“Diese begrifflose Begrifflichkeit der Künstler bildet gemeinsam mit der marxistisch inspirierten Analyse der Produktionsbedingungen eine merkwürdige Einheit der Gegensätze aus Objektivität ohne Intention und reiner Intention ohne Weltbezug.”

Begrifflose Begrifflichkeit, my ass!

Ich werde den Verdacht nicht los: Eigentlich findet DD alles ganz prima, so wie es ist. Und ergeht sich dabei lustvoll in Scheinkritik. Ganz wie das neue, neoliberale SPEX, das ja mittlerweile in Berlin zusammengebastelt wird – mit einem beachtlichen production value, dochdoch… und immer ‘ne nette Modestrecke dabei… Damals, in den 80ern, hatten SPEX-Leser einen gewissen Distinktionsvorsprung vor den Lesern des Musikexpress. DDs Haltung scheint die gleiche geblieben – er ergeht sich in Andeutungen. Wie damals bei SPEX lässt er vieles offen:

“Aber der antifetischistische, antiobjektive Impuls verkannte, dass erst in der Reibung von fixem Objekt und subjektivem oder kollektivem Prozess der Funken schlug. Wusste man also um diese Spannung und wollte aus ihr Energie gewinnen, lohnte es sich auch über das Objekt zu sprechen ; darüber, wie überhaupt etwas Objekt werden konnte, gerade bei fragilen, ephemeren, prozessualen, Kunstwerken, wie es zum glorreichen Moment kommen konnte.”

Was damals eine hippe, coole attitude war, ist heute ein modus operandi, der mich unangenehm berührt. DD setzt ein Hipsterpublikum mit Durchblick voraus. Der Durchblick, den er damals beim SPEX-Leser voraussetzten durfte: Die savants, die hipsters, werden schon wissen, was ich meine. Wer nicht, der ist selber Schuld. Nicht mein Problem. Das ist die Natur des Durchblicks, den DD zu besitzen vorgibt. Für jemanden mit einem Lehrauftrag finde ich diese Haltung fragwürdig. Um nicht zu sagen, reaktionär. Blanke Gegenaufklärung.

Was mir DDs Text sympathisch macht, das ist sein Geruch von Angstschweiß. Mir scheint es, als hätte DD panische Angst davor, daß ihm jemand auf die Schliche kommt. Daß DD ein Blender ist und immer war.

Autorität hängt bekanntlich davon ab, daß “niemand im falschen Moment lacht” (Robert A. Wilson).

Unter diesen Umständen bewundere ich die Chuzpe, mit der DD seinen Brei dem Kunstverein-Publikum serviert hat. Oder ist dieses Publikum der wahre Grund für den unerträglichen Jargon? Überschätzt DD sein Publikum? Bloß nicht blamieren! Come on… Vor den Platzhirschen des Hamburger Diskurses muß niemand falschen Respekt haben. Die kochen, wie DD selber, auch nur mit Wasser.

Die polemische Schärfe, der Witz, zu dem DD allemal imstande ist, ist einem akademischen Habitus gewichen, dem das intellektuelle Gewicht fehlt, um mich zu überzeugen. Er bleibt blanke Pose. Das Gewicht des Gedankens, der Erkenntnis – das können imposante Quellen und gekonntes namedropping nun einmal nicht ersetzen. Aber das kann der shmoove Theoretiker richtig gut. Doch, ja. Diedrich Diederichsen hat eine Menge englische Fachliteratur gelesen! Oder kennt zumindest die angesagten Titel und Autoren.

Wer Eigenblutdoping lesen möchte – hier sind die guten Stellen, der Fairness halber:

S. 67ff. ; S. 73ff. ; S. 119ff. ; S. 114 ; S. 177 ; S. 195 ; S. 215 ; S. 230ff. ;

Avec plaisir, toujours! And good night, Ernst Cassirer, wherever you are…

Peter

Diedrich Diederichsen “Eigenblutdoping”, deutsch, 279 S. (KiWi).

* SPEX #315, Juli/August 2008, S.130.

Nachtrag:

Hier, das hier ist ‘ne geile Diederichsen-Strecke: 

http://www.filmzentrale.com/rezis/wundervonberndd.htm

Wie elegant DD hier Sönke Wortmanns “Wunder von Bern” einmacht, so ha’m wir das gerne…!

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